Schöne neue Arbeitswelt

Nicht erst seit der Corona-Pandemie hat sich unser Verständnis von Arbeit tiefgreifend verändert. Wie werden wir in 20 Jahren arbeiten und leben? Die Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft hat dazu vier Szenarien vorgelegt.
Illustration: Agata Sasiuk
Illustration: Agata Sasiuk
Olaf Strohm Redaktion

Wie werden wir im Jahr 2040 arbeiten? Welche Voraussetzungen prägen den Wandel? Wie wird es Menschen in der neuen Arbeitswelt ergehen? Mit diesen spannenden Fragen hat sich die Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft beschäftigt. Der an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales angeschlossene Think Tank hat vier Zukunftsszenarien entwickelt, die wir hier in Kürze vorstellen.

 

Szenario 1 Die smarte Maschinen-Gesellschaft
Die Automatisierung von Produktion und Dienstleistungen beschleunigt sich. Künstliche Intelligenz, Robotik und Bioreaktoren ermöglichen eine hocheffiziente und sichere automatisierte Produktion. Neben technologischen Entwicklungen sind der demografische Wandel und der Fachkräftemangel in Deutschland ein entscheidender Treiber für den Weg in die Hochautomatisierung.


2040 leben die Menschen in einer demokratischen, hocheffizienten und sicheren Gesellschaft. Smarte Maschinen bestimmen das alltägliche Leben, für komplexe Entscheidungen machen KI-gestützte Anwendungen konkrete Vorschläge. In vielen Branchen werden deutlich weniger Arbeitskräfte benötigt als heute, dennoch ist die Arbeitslosigkeit vergleichsweise gering. Denn es sind neue Arbeitsplätze entstanden: in der IT, der Gesundheit und Pflege, der Bildung, der Energiewirtschaft, der Unterhaltungsindustrie, dem Handwerk sowie im (Cyber-)Sicherheits-, Polizei- und Justizwesen. Obwohl der flächendeckende Einsatz von KI breite Unterstützung erfährt, erzeugt die Arbeit damit eine hohe psychische Belastung. In allen wesentlichen Bereichen haben Menschen ein „Letztentscheidungsrecht“, das als nervenaufreibende Pflicht empfunden wird, denn es bedarf besonderer Kompetenzen und hoher Aufmerksamkeit, sich gegen KI-gestützte automatisierte Entscheidungsvorschläge zu entscheiden.


Auf der anderen Seite ist das Interesse an aktivem Engagement und kollektiver Interessenvertretung erlahmt. Anstelle echter Aushandlungsprozesse werden immer häufiger Entscheidungen akzeptiert, die von Algorithmen getroffen wurden.

 

Szenario 2 Die Plattform-Gesellschaft
Mit dem Wachstum vieler digitaler Marktplätze, anfangs insbesondere im Online-Versandhandel und bei Lieferdiensten bilden sich dominante Plattformen heraus, an denen praktisch kein Weg mehr vorbeiführt. Naturkatastrophen, Pandemien und globale Migrationsbewegungen sowie internationale Krisen führen zu einem dauerhaften Gefühl von Unsicherheit. Plattformen etablieren sich als zentrale soziale und ökonomische Austausch-, Kommunikations- und Allokationssysteme, die zudem wichtige Funktionen in der Gewährleistung der Daseinsvorsorge übernehmen.


2040 sind wenige Menschen fest angestellt. Neben Waren werden auch Dienstleistungen und Arbeitskraft über Online-Marktplätze vermittelt. Saisonarbeit, kurzfristige Verträge und Projektarbeit dominieren. Auf der anderen Seite herrscht ein allgemein hohes Stresslevel. Einzelunternehmer:innen müssen sich immer wieder von Neuem einem mitunter globalen Wettbewerb um Aufträge und Bewertungen stellen, weshalb sich insbesondere in wissensintensiven Branchen oft kleine Netzwerke herausbilden, deren Mitglieder sich wechselseitig in Aufträge einbeziehen. Um sich im Heer der Basisarbeitenden zu positionieren, sind hohe Flexibilität und eine 24/7-Verfügbarkeit fast unabdingbar. Das hohe Stresslevel, stark schwankende Arbeitszeiten und eine unscharfe Trennung von Berufs- und Privatleben sowie hier und dort soziale Vereinsamung führen bei vielen Erwerbstätigen zu psychischen Erkrankungen.

 

Szenario 3 Die Welt des Netzwerkkapitalismus
Die großen Internetplayer besetzen mit ihrer Kapitalmacht alle großen Forschungsthemen, von der Künstlichen Intelligenz und neuronalen Netzwerken bis hin zu Quantencomputing und Biotechnologie. Dadurch werden sie in den kommenden Jahrzehnten zu den entscheidenden Institutionen. Raschere Innovationszyklen stärken die Macht zentraler Unternehmen. Sie werden von der EU und vielen Staaten geduldet, deren Haushalte durch Folgekosten der Transformation und durch den internationalen Steuerwettbewerb am Rande ihrer Handlungsfähigkeit stehen. Darüber hinaus können die weltumspannenden Netzwerkkonglomerate effizient gegen den Klimawandel vorgehen.  


2040 sind in der Arbeitswelt die internationalen Netzwerke auch zu kultur- und identitätsstiftenden transnationalen Ökosystemen geworden. Wer hier beschäftigt ist, hat im Regelfall eine gesicherte Existenz für sich und die Familie. Arbeitsplatzwechsel, Absicherung und Freizeitgestaltung finden bevorzugt innerhalb der Netzwerke statt, die sich damit bis tief in die Daseinsvorsorge hineingebohrt haben. Die Netzwerke entziehen sich damit nicht nur der (Besteuerungs-)Macht und regulatorischen Kontrolle der Staaten, sondern sorgen auch für erhebliche materielle Unterschiede  zwischen ihnen und dem Rest der Wirtschaft. Als Gegenreaktion schließen sich andere Akteure ebenfalls zu Netzwerken zusammen. Folge: eine Fragmentierung der Gesellschaft.

 

Szenario 4 Die ressourceneffiziente Gesellschaft
Die nationale und europäische Klimapolitik kommt nicht in Fahrt. Dekarbonisierungsstrategien werden kaum umgesetzt. Folge: Dürren, Starkregen, Stürme und Flutkatastrophen. Die Politik sieht sich zu harten staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft gezwungen, mit hohem Rückhalt in der Bevölkerung. Unternehmen, die Klimaziele nicht erreichen konnten oder wollten, müssen mit Stilllegung oder Verstaatlichung rechnen. Landnutzung und Stadtentwicklung werden reglementiert, Eigentumsrechte mit Pflichten versehen.


Versorgungslücken müssen durch die Zivilgesellschaft kompensiert werden, etwa durch Gemeinwohlarbeit, Nachbarschaftshilfen oder selbstorganisierte Pflege. Das gemeinsame Anpacken führt zu einer Stärkung des Gemeinsinns und zu einem verbesserten gesellschaftlichen Klima. Staatliche Programme zur Beseitigung und Eindämmung von Umweltschäden, für Aufforstung, Wohnungsbau, Umsiedlung und den Bau von Schutzmaßnahmen vor den Folgen des Klimawandels schaffen neue Arbeitsplätze, auch für geringer Qualifizierte. Jede Hand wird gebraucht.


2040 hat Arbeitskraft an Wertschätzung gewonnen. Die Ausrichtung der Gesellschaft auf den sparsamen Umgang mit Ressourcen führt zu einer stärkeren Identifikation mit dem beruflichen Tun und zur Sinnstiftung. Die Beschränkung von wirtschaftlichem Wachstum durch Deckelung verschiedener Faktoren führt zu einem verminderten Wettbewerb, weniger Konkurrenzdruck und damit zu einer spürbar egalitäreren und solidarischeren Arbeitswelt.

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