Mit neuen Ideen in die Zukunft

Nichts ist schwieriger zu verordnen als Innovation. Ungewohnte Tätigkeiten, der Aufenthalt in der Natur, die Raumgestaltung, aber auch der Kaffeeautomat kann Mitarbeiter im kreativen Denken bestärken.
Illustration: Agata Sasiuk
Illustration: Agata Sasiuk
Mirko Heinemann Redaktion

Kann die Arbeit mit den Händen kreatives Potenzial freisetzen? Davon ist Anke Buchmann überzeugt. Als User Experience Designerin saß sie viele Jahre vor dem Rechner und entwickelte Markenkampagnen für die Industrie. Der Job machte ihr Spaß, aber: „Mit meinen Händen machte ich nichts außer schieben und klicken.“ Die immer gleichen Bewegungen, das immer gleiche Denken in den immer gleichen Strukturen – das alles führte dazu, dass sie sich nach zehn Jahren ausgebrannt fühlte. „Meine Kreativität war dahin. Ich war im wörtlichen Sinne leer“, erinnert sie sich.


Heute bietet Anke Buchmann mit ihrem Unternehmen Handful Ceramics Seminare an, in denen sie Digitalarbeiter in die Welt der frei formbaren Erde entführt: die Arbeit mit Ton. Ihre Methode nennt sie die „taktile Clay Meditation“: Teilnehmer sollen durch die ungewohnten Bewegungsabläufe, die haptische Betätigung, die andere Art zu denken, neue Kreativkräfte freisetzen.


Damals hatte sie nach Gesprächen mit Führungskräften, Coaches und therapeutisch geschulten Freunden ihren Job gekündigt und ein Studium an der Londoner Kunsthochschule Central Saint Martins aufgenommen. Dort entdeckte sie das Material Ton wieder, das sie schon in ihrer Kindheit fasziniert hatte. Und sie erlebte, wie sich ihr Denken veränderte und sich ihr Geist auf eine neue Weise entfaltete. Erste Keramik-Seminare in Architekturbüros, bei Designern und in Galerien stießen in der Start-up-Metropole London auf reges Interesse. „Die Teilnehmenden kamen entspannt und mit vielen frischen Ideen aus dem Seminar“, so Anke Buchmann. Jetzt bietet sie Workshops in ihrer Heimat Berlin an, in denen Digitalarbeiter von der Führungskraft bis zum Programmierer gemeinsam Ton kneten und Gegenstände formen.

 

Skulpturen formen als Team-Event

 

Das Konzept von Handful Ceramics mag neu sein, an Events für Unternehmen, welche die Innovationskraft ihrer Angestellten steigern wollen, fehlt es aber durchaus nicht. Die einen bieten Gemälde malen unter Anleitung von Künstlern an, die anderen formen Skulpturen aus Schnee und Eis. Ein Anbieter organisiert als Team-Event den Bau einer Vogelscheuche. Dort bauen Teilnehmer aus Heu, Kartoffelsäcken und alter Kleidung eine möglichst kreative Figur. Das ist dien eine Seite. Aber natürlich setzen Unternehmen im Alltag in erster Linie zielorientierte Methoden ein, um kreative Lösungen zu erarbeiten: Strategie, Innovation, Design Thinking, agiles Management, Trend- und Marktforschung.


Das Problem mit Unternehmen ist, wie der renommierte Managementberater Reinhard K. Sprenger im Magazin impulse betont: Sie sind per se keine kreativen Orte. „Kreativität und Organisation sind sich grundsätzlich wesensfremd“, so Sprenger. Wer aber am Markt bestehen wolle, müsse auf das kreative Potenzial seiner Mitarbeiter setzen. „Nur sie können neuartige Kundenbedürfnisse erspüren und Innovationen hervorbringen.“ Da das menschliche Gehirn von Natur aus faul sei, müsse, wer auf frische Ideen kommen will, sich selbst überlisten. „Raus aus der Alltagssituation, weg vom Schreibtisch, andere Meinungen und Sichtweisen zulassen“, so Sprenger. Auch ein Ortswechsel könne dabei helfen. „Wer fühlt sich schon inspiriert in Bürogebäuden? In der freien Natur, in einer fremden Umgebung, mit nicht-konformen Menschen, da sprudelt die Vorstellungskraft, da sprudeln die Ideen.“


Deshalb setzen manche Unternehmen auf Naturerfahrungen wie Klettern in den Alpen oder Überlebenstrainings in der Mecklenburger Wildnis, um bei ihren Schreibtischarbeitern den Kopf freizupusten. Wieder andere buchen Seminare mit Tieren, etwa mit Lamas oder Elefanten. Aber auch die Gestaltung der Arbeitsumgebung kann Einfluss auf die Kreativität haben, so das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Die Forscher haben in ihrer Metastudie „Raumpsychologie für eine neue Arbeitswelt“ die Ergebnisse verschiedener empirischer Untersuchungen systematisiert, die sich mit der Wirkung und Gestaltung des Raumes in der Arbeitswelt befassen.

 

Im Dunkeln lässt sich besser denken

 

Danach spielen die Beleuchtung, der Geräuschpegel und die Höhe des Raums eine wesentliche Rolle für kreative Prozesse. Die meisten Menschen bevorzugen bei kreativen Tätigkeiten eine eher geringe Beleuchtungsstärke. Der Grund hierfür könnte in der Tatsache liegen, dass zu helles Licht auf das für Kreativität förderliche Gefühl der Freiheit eher hemmend wirkt. Bei einem mittleren Geräuschpegel wird beim Menschen eine Prozess-unstetigkeit erzeugt, die zu einer Erhöhung des abstrakten Denkens und damit wiederum der Kreativität führt. Zudem erzeugen hohe Räume kreativere Denkprozesse.


Aber nicht nur die Höhe des Raums, sondern auch die Temperatur hat laut Fraunhofer IAO Auswirkungen auf die Kreativität im Arbeitskontext. Die Studie zeigte, dass es sich bei einer Temperatur zwischen 26 Grad und 27 Grad Celsius am kreativsten arbeiten lässt. Auch die Konzentrationsfähigkeit lässt sich durch raumpsychologische Aspekte unterstützen. Anders als bei den kreativen Denkprozessen kurbeln normalhohe und niedrige Decken die Konzentrationsfähigkeit an. In diesen Umgebungen können Mitarbeitende besser konkreten und detailreichen Aufgabenstellungen nachgehen, die ein hohes Maß an Konzentration erfordern. Und: Selbst Düfte können das Wohlbefinden, die Arbeitsleistung und das Stresslevel stark beeinflussen.


Im Zeitalter der Digitalisierung werden Hierarchien abgebaut, die Partizipation rückt in den Vordergrund. Mit mehr Selbstverantwortlichkeit. Deshalb sind bei Mitarbeitern immer stärker Kompetenzen in Kommunikation gefragt. Auch Kreativität, so Reinhard K. Sprenger, entstehe vor allem durch Gespräche mit Kollegen, Experten, Kunden oder auch mit völlig Unbekannten. Durch Begegnungen unterschiedlicher Menschen, die Einzelteile neu zusammenfügen. Wer Gedanken hin und her wälz und mit anderen spricht, dem eröffneten sich ganz neue Perspektiven. Sein Rat: „Geben Sie Zeit und Raum für Dialoge. Auch für Zufallsdialoge am Kaffeeautomaten.“

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