Im Land der Veränderung

Deutsche Unternehmen digitalisieren immer stärker. Bleibt ihre Innovationsfähigkeit auf der Strecke?
Illustration: Alin Bosnoyan
Axel Novak Redaktion

Tief in Brandenburg, 150 Kilometer vor Berlin: Der Baumarkt in der kleinen Stadt in der Prignitz ist inhabergeführt und sein Sortiment ein bisschen aus der Zeit gefallen. Doch an der Kasse heißt es seit geraumer Zeit: „Ihre Postleizahl noch – bitte.“ Und auf den Hinweis, das vermutlich 95 % der Kunden aus der Region stammen, kommt die Antwort: „Wir brauchen das für das Marketing.“


Es sind moderne Zeiten, und auch der letzte Einzelhändler am Ende der Welt hat sich aufgemacht auf den Weg der digitalen Transformation. Das ist klug. Denn wer den Wandel verpasst, dem drohen nicht nur der Verlust von Kunden und damit Umsatzeinbußen, sondern möglicherweise der langsame Tod des Geschäftsmodells. Der tiefgreifende Wandel hat längst alle Bereiche der Wirtschaft erfasst. Die Unternehmen in Deutschland bauen ihre IT mit hohem Tempo aus, modernisieren ihre Infrastruktur, investieren in die Kommunikation mit ihren Kunden oder verändern ihr eigenes Geschäftsmodell.


Auch der Kontakt zu Kunden und Zulieferern findet zunehmend digital statt. Customer Centricity heißt das Schlagwort, nach dem sich Unternehmen durch neue Soft- und Hardware wappnen für mehr, schnelle, direkte und effizientere Kommunikation mit den Kunden. Chatbots beispielsweise sind nicht mehr nur bei großen Konzernen im Einsatz. Auch kleine Mittelständler setzen auf diese Software, bei denen Kunden in natürlicher Sprache angesprochen werden, sodass sie den Eindruck haben, mit wirklichen Menschen zu sprechen.


Chatbots aber gehen einher mit dem Trend zur Künstlichen Intelligenz. Solche selbstlernenden Programme, die Daten aufnehmen, auswerten und für Entscheidungshilfen analysieren, bieten enorme Potenziale, um Prozesse zu verbessern und zu automatisieren. Zwar werden sie in Deutschland immer noch eher in homöopathischen Dosen eingesetzt. Doch die ersten Usecases zielen auf den Kern der Wertschöpfungskette. Vor allem Geschäftsprozesse in der Logistik, Produktion und Sicherheit und Überwachung eignen sich für konkrete KI-Anwendungen, haben die Unternehmensberater in ihrem Digitalisierungsmonitor 2020 herausgefunden.


Allerdings zeigt auch dieses Beispiel die Crux, mit der die Unternehmen in Deutschland leben müssen, wenn sie digital nachrüsten wollen. Denn KI verlangt viele Veränderungen in der klassischen Unternehmens-IT. Die Intelligenz ist mehr als ein reines IT-Projekt, sondern beeinflusst das gesamte unternehmerische Handeln. So reißt die digitale Transformation die Schranken zwischen den Bereichen von Unternehmen ein. Die IT-Infrastruktur entwickelt sich vom rein technischen Rückgrat zu einem immer wichtigeren Teil des Geschäftsmodells.


Zweierlei drängt dazu, diesen Umbau schneller anzugehen. Viele Unternehmen vergessen, wie wichtig die IT für die Mitarbeiterzufriedenheit ist. Sie setzen auf Vergünstigungen wie einen Kicker-Tisch oder Gratis-Snacks, übersehen aber, was den Mitarbeitern das Leben tatsächlich einfach macht: Wenn sie aber Arbeitsabläufe rationalisieren und vereinfachen, erhöhen Technologien die Zufriedenheit der Mitarbeiter deutlich und sorgen für eine gute Work-Life-Balance. Und die ist mittlerweile für viele Arbeitnehmer ein Grund, den Arbeitgeber zu wechseln, wie der US-amerikanische Cloud-Anbieter ServiceNow herausgefunden hat. Eine moderne, leistungsfähige IT ist im Krieg um Talente ein wirksames Mittel, um Arbeitnehmer zu halten oder neue zu finden. ■

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