Finden und binden

Talentmanagement ist heute fester Bestandteil nahezu jeder HR-Strategie deutscher Unternehmen. Doch wirklich konsequent umgesetzt wurde es bislang eher selten. Die Corona-Pandemie könnte ein Umdenken bewirken.
Illustrationen: Agata Sasiuk
Illustrationen: Agata Sasiuk
Thomas Feldhaus Redaktion

Grünheide in Brandenburg, rund 40 Kilometer südöstlich vor Berlin gelegen. 7.800 Einwohner leben in der kleinen Stadt, inmitten von Wäldern und Seen. Kein Ort, den High Potentials für ihre Karriere auf dem Zettel haben, doch genau hier sollen zukünftig die Besten ihres Fachs arbeiten. Die Überzeugungsfähigkeit von Headhuntern und HR-Experten würde dafür nicht ausreichen. Um leistungswillige junge und auch erfahrenere Mitarbeiter hierherzulocken braucht es mehr. Geld kann helfen, würde aber nicht ausreichen. Vielmehr braucht es den Spirit der Einzigartigkeit, das begründete Versprechen, an etwas Großem mitzuwirken und zum Kreis der Auserwählten zu gehören.


Wer könnte diesen Anspruch besser einlösen als der US-amerikanische Unternehmer Elon Musk? Für seine Gigafactory im brandenburgischen Grünheide werden Hunderte neuer Mitarbeiter benötigt. Jeder Einzelne von ihnen muss dem Anspruch Musks genügen. „Unsere Mission begeistert die besten und hellsten Köpfe der Welt und bringt sie zu uns, um an dieser Zukunft mitzuwirken“, lautet denn auch das vollmundige Versprechen des Unternehmens. Dafür kommt der Chef auch mal eingeflogen und führt die Bewerbungsgespräche persönlich durch. Ihn interessieren nicht Noten und Universitätsabschlüsse, ihn interessiert, wie die Bewerber mit Problemen umgehen.


Damit ist Elon Musk vielen Unternehmen einige entscheidende Schritte voraus. Wer für eine Sache brennt, über die erforderlichen persönlichen Fähigkeiten verfügt und das fachliche Rüstzeug mitbringt, ist zweifellos ein Talent. Genau solche Mitarbeiter brauchen und wollen Unternehmen. Sie zu finden und ans Unternehmen zu binden ist die vordringlichste Aufgabe des Talentmanagements und zugleich ihre schwierigste. Für HR-Manager keine Neuheit und alltägliches Geschäft, bei den CEOs wird das Thema dagegen meist niedriger priorisiert.


Doch genau an diesem Punkt hat die Corona-Krise zu einem rapiden Umdenken beigetragen, wie der CEO Outlook 2020 der Beratungsgesellschaft KPMG zeigt. Mitten in der Pandemie wurde erneut ein Stimmungsbild unter Europas Unternehmenslenkern eingeholt. Noch zu Beginn des Jahres 2020 standen der Umwelt- und Klimaschutz als größtes unternehmerisches Risiko auf Platz eins der Agenda. Nur wenige Monate später und eine Pandemie weiter sehen die Chefs nun die größten Risiken für den zukünftigen Erfolg ihres Unternehmens in der Rekrutierung und Bindung qualifizierter Mitarbeiter noch vor Risiken in der Lieferkette. Von einem beispiellosen Schwenk spricht Angelika Huber-Straßer, Bereichsvorständin von KPMG Deutschland. Noch am Anfang des vergangenen Jahres haben nur ein Prozent der befragten Manager beim Personal einen erhöhten Handlungsbedarf gesehen, wenige Monate später waren es 21 Prozent.


Eine Entwicklung, die auch durch den aktuellen Talent-Klima-Index der Hochschule Fresenius gestützt wird. Anders als vielleicht zu vermuten, steht in der Krise nicht der Personalabbau im Fokus der HR-Verantwortlichen, sondern die sogenannte Talentretention,die Mitarbeiterbindung. Die Unternehmen stellen sich die Frage, wie sie ihre Talente trotz Distanz und Krise halten können. Tatsächlich ist der Kontakt zwischen Management und Mitarbeitern in den meisten Unternehmen durch Homeoffice und neue Formen der digitalen Zusammenarbeit eher enger geworden. Dabei zeigte sich die Flexibilität der Mitarbeiter und die Nutzung neuer Technologien als entscheidende Faktoren, mit denen sich die Auswirkungen der Krise meistern lässt. Das dürfte für die weiteren Entwicklungen im HR-Management der Unternehmen nicht ohne Folgen bleiben. Denn flexible Arbeitszeitmodelle sind ein zentraler Baustein des New Work und werden vor allem von den nachrückenden High Potentials eingefordert. Unternehmen, die zukünftig als Arbeitgeber interessant sein wollen, müssen sich darauf einstellen und den Mitarbeitern die nötigen Entfaltungsspielräume bieten.


Deshalb gehört heute ein wirksames Talentmanagement zwingend in die Unternehmensstrategie. Ein Katalog mit Weiterbildungsangeboten und hin und wieder ein Personalentwicklungsgespräch reichen nicht aus. Das ist in den meisten Unternehmen erkannt und gilt als erfolgskritisch für die zukünftige Entwicklung des Unternehmens, wird aber nicht immer glaubhaft umgesetzt. Unternehmen müssen wissen, über welche Talente sie verfügen und welche Talente sie benötigen, um ihre Unternehmensziele zu erreichen. Wie diese Talente identifiziert werden sollen und was es braucht, damit sie zufrieden und erfolgreich sein können, sind dringende Fragen, die beantwortet werden müssen. Doch an ausformulierten Strategien und Prozessen hapert es in der Praxis. Nicht selten auch am bereitgestellten Budget. Zudem fehlt es den Unternehmen oftmals an einer objektiven Einschätzung über die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter. Eine große Gefahr, denn unzufriedene Talente zu verlieren richtet einen größeren Schaden an und verursacht höhere Kosten, als präventiv deren Bedürfnisse angemessen zu berücksichtigen.


Das liegt unter anderem auch an der Tatsache, dass es keine allgemeingültige Definition von Talentmanagement und den dazugehörigen Strategien gibt. Der Wirtschaftspsychologe und Experte für Personalthemen Prof. Klaus P. Stulle spricht in diesem Zusammenhang vom Breiten- und Spitzensport. Während der eine Ansatz die Talente in jedem Mitarbeiter erkennen will, konzentriert sich die andere Herangehensweise auf die Identifikation und Förderung der High Potentials. Erfolgreiche Unternehmen müssen beide Betrachtungen in ihre Personal- und Unternehmensstrategie integrieren. Das hat nicht zuletzt auch die Corona-Pandemie gezeigt. Denn in den vergangenen Monaten haben in vielen Unternehmen vermeintliche Führungskräfte ihre Grenzen offenbart, während andere Mitarbeiter ihre Fähigkeiten entfalten konnten und durch die neuen Arbeitsformen und schwindenden Hierarchien auch sichtbar wurden. Das sollten Führungskräfte und HR-Manager zum Anlass nehmen und ihre Strategien überdenken, denn mit der fortschreitenden Digitalisierung steht längst die nächste Herausforderung ins Haus. Um diese zu stemmen, braucht es die Talente und den Einsatz aller Mitarbeiter. Genau das hat Elon Musk frühzeitig erkannt und gibt den Mitarbeitern eine lukrative Chance, die, wie er, für die Weiterentwicklung des Unternehmens brennen. 

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