Branchen der Zukunft

Digitalisierung, Klimawandel und die Weltkonjunktur bedrohen unsere Arbeitsplätze. Aber es entstehen auch immer neue Jobs.
Illustrationen: Wyn Tiedmers
Illustrationen: Wyn Tiedmers
Axel Novak Redaktion

Man kann ja wirklich ins Grübeln kommen: Die Leute starren auf ihr Handy, überall übernehmen Automaten die Industrieproduktion, die Japaner setzen kleine Roboterhunde sogar in Pflegeheimen ein – und dann bricht durch Corona auch noch die Weltwirtschaft zusammen. Selbst dem Letzten wird längst klar, dass sich die Welt verändert, und zwar die Welt der Arbeit. Aus immer mehr wird immer weniger: Gibt es überhaupt noch was zu tun? Oder geht den Deutschen bald die Arbeit aus?

Das war der Titel eines Buches des Ökonomen Horst Siebert, das 1994 Furore machte. Heute, ein Vierteljahrhundert später, ist es wieder soweit: Dass uns das ausgehen könnte, was doch so sehr unseren Nationalcharakter (Fleiß) und unser Selbstverständnis (beruflicher Erfolg) prägt.

Düstere Aussichten durch mehr Digitalisierung?

Die großen Trends der Zeit verdüstern unsere Perspektiven. Der Klimawandel führt zum Stellenabbau in der Industrie. Der demografische Wandel sorgt für zu viele Lehrer, auch die Baubranche wird bald mehr mit Rück- als Neubau beschäftigt sein bevor sie sich selbst abbaut. Und dann die Digitalisierung: Kollege Roboter vertreibt den Staplerfahrer. Und wer glaubt, er sei in der Verwaltung sicher, der hat noch nie von KI gehört: Künstliche Intelligenz nimmt uns das Denken ab.

Vor bald zehn Jahren legten die beiden US-Wissenschaftler Frey und Osborne einen Bericht über die Auswirkungen von Digitalisierung und Automatisierung auf die Arbeitswelt vor. Nach ihrer Einschätzung arbeiteten 2013 ziemlich genau 47 Prozent der Beschäftigten in den USA in Berufen, die in den Jahren bis 2033 mit hoher Wahrscheinlichkeit automatisiert werden können. Bis heute gehört dieser Bericht zu den Texten, die besonders gerne zitiert werden, wenn es um bedrohliche Zukunftsszenarien geht.

Arbeitsplätze fallen weg – und entstehen neu

Aber stimmt es überhaupt, dass uns die Arbeit langsam ausgeht? Dass die zunehmende Digitalisierung zu weniger Arbeit führt? Wer derzeit im Homeoffice digital tätig ist, merkt davon nichts. Statt zu Erleichterung, führen Computer und digitales Arbeiten eher zu mehr Arbeit. An die Stelle aneinander gereihter Erledigung von Aufgaben sind heute hochkomplexe Tätigkeitsfelder getreten, die eher mit Aufgabensteuerung zu tun haben: Wer früher einen Text auf der Schreibmaschine tippte, konnte unmöglich gleichzeitig telefonieren, Briefe lesen und den Nudeltopf für den Nachwuchs erhitzen. Im digitalen Homeoffice-Zeitalter ist die Gleichzeitigkeit dieser Tätigkeiten nicht nur machbar, sondern wird mittlerweile sogar erwartet.

Denn es werden immer mehr neue Tätigkeiten geschaffen: „Technischer Fortschritt führt nicht per se zu weniger Arbeit, sondern zu einer Umschichtung von Arbeitskräften“, schreiben die beiden Forscher Hermann Gartner und Heiko Stüber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Rechnerisch sind von 100 Arbeitsplätzen, die am 30. Juni eines Jahres bestanden, ein Jahr später 9,5 Arbeitsplätze weggefallen. Gleichzeitig haben andere Betriebe 9,7 Arbeitsplätze geschaffen.

Tiefgreifende Veränderung in der Autoindustrie

Die Gleichung kann beispielsweise in der Automobilindustrie, dem wohl plakativsten Schaufenster von Made in Germany, zur Beruhigung führen. Hier bedrohen mehrere Entwicklungen die bislang glänzenden Aussichten eines Sektors, der je nach Zählung zwischen vier und sechs Millionen Menschen beschäftigt. Neben der Digitalisierung der Produktion ist es vor allem der Umbau auf elektrische Antriebe, der in der gesamten Branche für Unruhe sorgt. Denn Elektromotoren sind einfacher herzustellen und verlangen weniger Wartung. Dementsprechend drohen dem ganzen Ersatzteil- und Servicemarkt massive Einbußen. Die nationale Plattform Zukunft der Mobilität hat vorgerechnet, dass bis 2030 rund 410.000 Arbeitsplätze durch die Elektrifizierung der Mobilität in Gefahr sind.

Allerdings gibt es auch hier das Potenzial für neue Jobs, es könnte eher zu einer Verlagerung statt einer Verdrängung von Arbeitsplätzen kommen, so der Verband der Automobilwirtschaft VDA. Der Verband geht davon aus, dass der Umstieg auf Elektroautos eher weniger Jobs kostet – zwischen 79.000 und 88.000 Stellen. Für wegfallende Beschäftigung in der Produktion entstünden neue Arbeitsfelder im Service rund um die Elektromobilität.

Boombranche Gesundheit

Es ist erstaunlich: Im Durchschnitt wird der Arbeitsplatzbestand Deutschlands etwa alle zehn Jahre komplett umgeschlagen, haben die IAB-Forscher Gartner und Stüber festgestellt. Sicher wird es weiterhin Arbeitslosigkeit geben, denn neue Arbeitsplätze haben andere Profile als die weggefallenen Stellen. Sicher ist aber auch: Es wird Boombranchen geben, die künftig auf jeden Fall mehr Beschäftigung schaffen werden. In einer alternden Gesellschaft wie der deutschen steigt die Bedeutung des Gesundheitsbereichs mindestens im Gleichklang mit der Zunahme an altersbedingten chronischen Erkrankungen. „Zwei Zahlen zeigen, wie prekär die Lage im Gesundheitswesen ist und noch werden kann: 100.000 Fachkräfte fehlen bereits nur in der Pflege, in zehn Jahren könnten es sogar 500.000 sein“, schrieb Axel Bindewalt von der Unternehmensberatung KPMG im Klardenker-Blog. Das war im Dezember 2019. Keine drei Monate später führte die Corona-Pandemie das Gesundheitssystem an den Rand des Kollaps und zeigt seitdem auf, wie extrem unterbesetzt die medizinischen Einrichtungen sind.

Die Pandemie hat das Gesundheitswesen beschleunigt verändert: Nach der Rückkehr zu einer Normalität – wie immer sie aussieht – wird der Fachkräftemangel schärfer. Denn die Mitarbeiter werden anspruchsvoller, die Patienten selbstbewusster sein. Und die beschleunigte Digitalisierung erweitert die Geschäftsmodelle vieler Einrichtungen. Mit einem entsprechenden Bedarf an Beschäftigten.

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