Robotik und das Potenzial der »Dark-Factory«

Ist eine Fertigung ohne Menschen ein realistisches und vor allem ein erstrebenswertes Ziel?
Dr. Lucian Dold, General Manager, Tactics and Operations OMRON Europe
Dr. Lucian Dold, General Manager, Tactics and Operations OMRON Europe
OMRON Europe Beitrag

„Eines Tages werden ausschließlich Maschinen und künstliche Intelligenz Fabriken und Produktionsabläufe steuern. Menschen werden dann nicht mehr gebraucht.” Derartige Utopien treiben Fantasie und Ängste so mancher Industrieentscheider und Mitarbeiter an. Der Begriff der „Dark-Factory“ wird in diesem Zusammenhang oft als Zukunftsvision dargestellt, die Hersteller anstreben sollten. Zwar gibt es bereits vollständig automatisierte Fabriken wie beispielsweise das Foxconn-Werk im chinesischen Shenzen. Allerdings sind derartige Beispiele selten. „Dark-Factories“ finden dort am meisten Anklang, wo so wenig menschliche Interaktion wie möglich angestrebt wird. Hierzu gehören etwa Produktionsabläufe mit signifikantem Risiko von Kontamination beispielsweise in der Lebensmittelverarbeitung oder bei der Herstellung spezieller elektronischer Komponenten.


Diese Anwendungen erfordern jedoch fast alle ein Szenario mit hohen Stückzahlen und geringem Produktmix (High-Volume-Low-Product-Mix), um rentabel zu sein. Dies steht im Widerspruch zur allgemeinen Entwicklung hin zu niedrigen Stückzahlen und hohem Produktmix (Low-Volume-High-Product-Mix) in vielen Wertschöpfungsketten, da die Unternehmen eine größere Auswahl für ihre Kunden schaffen wollen. Die zu 100 Prozent automatisierte, autonome, vollständig unbeleuchtete und menschenleere Fabrik ist für die meisten Fertigungsunternehmen daher kein realistisches Ziel.


Ein Hauptgrund, warum sich eine vollständig automatisierte Fabrik heute nicht realisieren lässt, ist, dass die Produktion menschliche Fähigkeiten braucht. So fortschrittlich die heutigen Automatisierungstechnologien auch sein mögen: Es gibt immer Situationen, in denen die Flexibilität des Menschen benötigt wird, um komplexe Prozesse auszuführen – zum Beispiel, um auf ein unerwartetes Ereignis zu reagieren.


Ein wesentlicher Vorteil der Digitalisierung ist, dass sie die Erfassung wertvoller Prozessinformationen ermöglicht, die sich analysieren lassen, um die grundlegenden Ursachen von Produktionsproblemen zu identifizieren. Dies kann dann in die Anpassung von Linien und Maschinen einfließen, um Maschinenstillstände zu minimieren oder sogar zu vermeiden. Rein theoretisch lassen sich immer neue Schritte zur Optimierung einer Linie hinzufügen. Doch niemand kann hundertprozentig garantieren, dass damit alle potenziellen Probleme beseitigt werden – es ist schlicht nicht praktikabel, auch die letzten zehn Prozent einer Produktionsanlage zu automatisieren. Wird dieser Punkt überschritten, sinkt die Rentabilität bei fortschreitender Automatisierung.


Ein entscheidender Schritt für Hersteller ist es also herauszufinden, in welchem Umfang und in welchen Bereichen Automatisierung ihnen den optimierten Return-on-Investment bietet. Dies kann zu einer recht komplexen Aufgabe erwachsen, doch viele Systemintegratoren und Technologieanbieter helfen dabei eine Analyse durchzuführen und ein Proof-of-Concept zu realisieren – von einzelnen Anwendungen bis zu ganzen Anlagen. Beispiele für erfolgversprechende Automatisierungsansätze sind etwa 3D-Vision-Systeme für komplexe Pick-and-Place-Vorgänge, mobile Roboter zur Lastenbeförderung oder die Übernahme von Fertigungsschritten durch kollaborative Roboter (Cobots).


Wird eine „Dark-Factory“, also eine vollkommen automatisierte Produktion, künftig die Norm sein? Auch wenn sie heute noch immer eine Seltenheit sind, wird aufgrund der immer leistungsstärkeren Automatisierungstechnologien klar, dass eine vollständig automatisierte Produktion in den kommenden Jahren für eine wachsende Zahl von Unternehmen realisierbar werden kann. Wo heute die Automatisierung der letzten zehn Prozent eines Produktionsprozesses unrentabel ist, wird diese Zahl auf acht Prozent und dann fünf Prozent schrumpfen und eventuell sogar nahe Null erreichen. Wichtig ist, dass Hersteller genau verstehen, wo die Automatisierung den optimalen Nutzen für ihr Unternehmen schöpfen kann. Und das ist etwas, bei dem Technologieanbieter und Systemintegratoren gut aufgestellt sind, um zu unterstützen.


www.industrial.omron.de

Nächster Artikel
Technologie
April 2024
Frédéric Dildei ist Head of Digital Business des Ingenieurunternehmens STF Gruppe
Beitrag

Alles auf einer Wellenlänge

Die STF Gruppe plant 5G-Campusnetzwerke für Unternehmen – wie das geht und was die Netze leisten, erklärt Frédéric Dildei, Head of Digital Business. 

Technologie
Dezember 2023
Illustration: Chiara Lanzieri
Redaktion

Kleine Baustoffkunde

Woraus bestehen gängige Baumaterialien und Dämmstoffe, und wie werden sie hergestellt? Wie schneiden sie in Sachen Ökobilanz ab?