»Gehen Sie zur Vorsorge!«

Der Unterleib ist eine Problemzone – zumindest, was die Früherkennung von Krebserkrankungen angeht.
Illustration: Wyn Tiedmers
Olaf Strohm Redaktion

Zur Darmspiegelung zu gehen, das ist erst einmal keine angenehme Vorstellung. Dabei ist kaum eine andere Krebsvorsorgemaßnahme so effektiv. Viele Todesfälle wären vermeidbar, wenn die Möglichkeiten zur Vorsorge konsequent genutzt würden. Denn bei frühzeitiger Diagnose ist Darmkrebs zu einem hohen Prozentsatz heilbar.


In Deutschland gibt es das Angebot zur gesetzlichen Darmkrebsfrüherkennung für Männer ab 50 Jahren und für Frauen ab 55 Jahren. Dabei übernimmt die Kasse alle zehn Jahre die Kosten für eine Darmspiegelung. „Doch das Angebot zur Darmkrebsvorsorge nimmt nur eine Minderheit wahr”, so Prof. Dr. med. Joachim Labenz. Der Internist und Gastroenterologe weist darauf hin, dass Darmkrebs die zweithäufigste Krebserkrankung bei Männern und Frauen ist: „Jedes Jahr wird bei etwa 60.000 Patienten in Deutschland diese Diagnose gestellt, die bei etwa 25.000 zum Tod führen wird.”
Darmkrebs entsteht bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Patienten aus gutartigen Vorstufen, so genannten Polypen, die nach einer mehrjährigen Wachstumsphase in eine Krebserkrankung übergehen können. Die Polypen sind bei einer Darmspiegelung gut zu sehen. Im Rahmen der Untersuchung kann der behandelnde Arzt sie direkt an Ort und Stelle entfernen, lange bevor sie sich zu Krebs entwickeln. Ist bereits Krebs entstanden, entscheidet das Stadium über die Chance der Heilung. Frühe Krebsstadien mit guter Prognose machen zumeist keine Beschwerden, sie werden daher nur im Rahmen einer gezielten Suche entdeckt.


Als weitere Vorsorgemaßnahme ist seit langer Zeit der Test auf verborgenes Blut im Stuhl ab dem 50. Lebensjahr Bestandteil der Vorsorgeempfehlungen. Aktuell wurde die Einführung verbesserter Tests gesetzlich beschlossen. Stuhltests können natürlich nur dann in der Vorsorge wirksam sein, wenn bei auffälligem Testergebnis auch eine Koloskopie zur weiteren Abklärung erfolgt. Stuhltests sind eine Ergänzung, aber kein vollwertiger Ersatz für eine Darmspiegelung.


Dabei, berichten Patienten, sei die Darmspiegelung weitaus nicht so unangenehm, wie sie sich zuvor vorgestellt hatten. Die Vorbereitung beginnt einen Tag vor der Untersuchung. Ab Mittag soll man nur noch Tee, Wasser oder Brühe trinken. Am Abend vor der Darmspiegelung trinkt man zum Abführen einen bis zwei Liter einer Abführlösung. Damit wird der Darm vollständig entleert. Am Morgen der Untersuchung wird diese Prozedur wiederholt.


In der Regel bekommt man vor der Untersuchung eine so genannte Schlafspritze, so dass man von der Untersuchung selbst nur wenig mitbekommt. Danach darf man direkt nach Hause gehen, allerdings in Begleitung. An diesem Tag sollte man auch nicht Auto fahren. Gibt es keine Auffälligkeiten, haben Patienten dann zehn Jahre lang Ruhe, bis die nächste Darmspiegelung empfohlen wird.


Dasss nur wenige Patienten die Früherkennungsuntersuchungen wahrnehmen, hat mit Verdrängung zu tun. Gerade der Unterleib ist offenbar für viele eine tabuisierte Problemzone. Dabei sind viele urologische Krebserkrankungen mit entsprechenden Vorsorgemaßnahmen frühzeitig erkennbar. Etwa Prostatakrebs beim Mann. „Prostatakrebs früh erkennen rettet Leben”, so Dr. Wolfgang Bühmann, Facharzt für Urologie und Andrologie: „Würden alle Männer ab 45 regelmäßig die Früherkennungsuntersuchungen wahrnehmen, müsste heute fast niemand mehr an dieser Krankheit vorzeitig sterben.”


Im Jahr 2016 wurde Prostatakrebs bei knapp 58.800 Betroffenen neu entdeckt. Die Zahl der dokumentierten Todesfälle lag bei etwa 14.400. Experten des Deutschen Krebsforschungszentrums  sehen zwei Gründe für diese hohe Zahl: Viele Männer erhalten die Diagnose Krebs aufgrund einer Früherkennungsuntersuchung, ohne die sie vermutlich nie etwas von ihrer Erkrankung erfahren hätten. Auf der anderen Seite trägt die hohe Lebenserwartung in Deutschland mit dazu bei, denn Prostatakrebs tritt meistens erst im fortgeschrittenen Alter auf. Zum Zeitpunkt der Diagnose waren die Betroffenen im Jahr 2016 durchschnittlich 72 Jahre alt.  


Männer rauchen mehr, trinken mehr und ernähren sich ungesünder als Frauen. Trotzdem sind sie eher Vorsorgemuffel, wie eine Erhebung des Robert Koch-Instituts zeigt: Weniger als die Hälfte der Männer, nur 40 Prozent, nehmen die Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung regelmäßig in Anspruch, bei den Frauen sind es immerhin gut zwei Drittel (67,2 Prozent). Dabei ist etwa die Prostata-Vorsorgeuntersuchung vergleichsweise harmlos. Sie ist schmerzlos und kurz. Dabei tastet der Urologe die Prostata durch den Enddarm ab, eventuell kommt eine Ultraschalluntersuchung und unter bestimmten Voraussetzungen eine Blutentnahme zum PSA-Test dazu.


Der Berufsverband der Deutschen Urologen appelliert insbesondere an alle Frauen, ihre Männer zu ermuntern, diese nicht selten lebensrettende Chance zu nutzen und an alle Männer, ihre wirklich unbegründete Angst vor dieser Untersuchung zu überwinden: „Tun Sie etwas für sich und Ihr privates Umfeld: Gehen Sie zur urologischen Früherkennung!”, so Dr. Bühmann.

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