Stressfrei am Arbeitsplatz

Betriebliches Gesundheitsmanagement ist heute in nahezu allen Unternehmen Standard. Doch scheint es noch nicht überall so zu greifen wie gewünscht.
Illustration: Julia Schwarz
Julia Thiem Redaktion

Woran erkennt man einen Mann, der mehr als 52 Stunden in der Woche arbeitet? An seiner Glatze. Und das ist kein schlechter Scherz, wie man vielleicht beim ersten Lesen glauben mag. Tatsächlich legt eine Studie aus Südkorea nahe, dass Workaholics überdurchschnittlich oft unter Haarausfall leiden. Ausgewertet wurden dafür die Daten von 13.000 Männern zwischen 20 und 59 Jahren zwischen 2013 und 2017. Das Ergebnis: Ab 52 Arbeitsstunden pro Woche steigt nicht nur die Wahrscheinlichkeit für die nächste Gehaltserhöhung, sondern auch für eine Glatze. Als mögliche Ursache für das erhöhte Haarausfallrisiko sehen die Forscher ein höheres Stresslevel, das oftmals mit längeren Arbeitszeiten einhergeht. In der britischen Daily Mail empfiehlt der Hauptautor der Studie daher vor allem Männern zwischen 20 und 40 Jahren, es bei den Arbeitszeiten nicht zu übertreiben, wenn sie an ihrem Haupthaar hängen.


Stress am Arbeitsplatz ist aber nicht nur bei Männern ein Problem. Aktuell zählen psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen zu den zweithäufigsten Ursachen für Krankmeldungen in Deutschland – noch vor Erkrankungen der Atemwege. Das geht aus der Antwort des Bundestages auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion hervor. Demnach hat sich die Anzahl der Krankentage von 2008 bis 2017 um mehr als 70 Prozent erhöht – mit erheblichen Auswirkungen für die Wirtschaft. Der Produktionsausfall stieg im selben Zeitraum um fast 80 Prozent auf 76 Milliarden Euro. 2017 waren dabei drei Diagnosen für mehr als die Hälfte dieser Krankentage verantwortlich: Muskel-Skelett-Erkrankungen mit 25 Prozent, psychische Erkrankungen mit 18 Prozent sowie Erkrankungen der Atemwege mit 15 Prozent.


Heraus sticht hier aber vor allem die Erhöhung der Krankentage aufgrund psychischer Erkrankungen: ein Plus von 144 Prozent in den letzten zehn Jahren. Jutta Krellmann, Mitglied des Bundestages und Sprecherin für Mitbestimmung und Arbeit bei den Linken im Bundestag, fordert deshalb eine Anti-Stress-Verordnung: „Sie bedeutet klare und verbindliche Richtlinien, um Stress bei der Arbeit einzudämmen. Damit ist sie eine notwendige Ergänzung zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen.“ Denn genau davor, glaubt Krellmann, drücken sich die meisten Arbeitgeber: „Eine solche Beurteilung wird nur in jedem vierten Betrieb gemacht. Deshalb brauchen wir dringend flächendeckende Arbeitsschutzkontrollen.“


Das unterstreicht auch der Report „Arbeitswelt im Wandel: Zahlen, Daten, Fakten 2019“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Dort gaben ungefähr ein Viertel der Befragten beider Geschlechter an, dass die Arbeitsdurchführung häufig bis in alle Einzelheiten vorgeschrieben ist. Dasselbe sagten knapp 30 Prozent über die Stückzahl, Leistung oder Zeit bei der Arbeit. Für ungefähr die Hälfte ist das eine Belastung. Darüber hinaus belegen die Zahlen der BAuA, dass viele Erwerbstätige von Multitasking, starkem Termin- oder Leistungsdruck sowie Störungen beziehungsweise Unterbrechungen bei der Arbeit betroffen sind. Auch das wird überwiegend als belastend wahrgenommen. Kein Wunder, dass der Report einmal mehr unterstreicht, dass ein großer Teil der Beschäftigten über allgemeine Müdigkeit, Mattigkeit und Erschöpfung klagt.


Interessant sind die Zahlen des BAuA vor allem deshalb, weil der Ausfall an Bruttowertschöpfung in 2016 – da kamen Arbeitnehmer im Schnitt auf 17,5 Ausfalltage – bei 133 Milliarden Euro lag. Gleichzeitig hätten Unternehmen und Krankenkassen eine neue Rekordsumme von knapp 6,5 Milliarden Euro für die betriebliche Gesundheitsförderung ausgegeben – Geld, dass sich viele Betriebe und Kassen vermutlich hätten sparen können, wie Sabine Hammer, Professorin für Sozialforschung an der Hochschule Fresenius in Idstein herausgefunden hat.


Sie hat mit einem Forscherteam gerade eine Untersuchung zum Thema Mitarbeiterzufriedenheit und Krankmeldungen abgeschlossen. Deutschlandweit wurden dafür in sechs Großunternehmen ausführliche Interviews mit 180 Mitarbeitern aus Handwerk, Personentransport, Reinigung und Service durchgeführt. „Die von uns untersuchten Zielgruppen nehmen Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung sehr häufig als unpassend wahr und empfinden sie teilweise auch als Bevormundung oder Einmischung des Arbeitgebers. Das lässt sich leicht nachvollziehen, wenn zum Beispiel einem körperlich hart arbeitenden Angestellten Fitnesstrainings als besonderes Angebot angekündigt werden“, führt Prof. Hammer aus. „Für unsere Gesprächspartner war entscheidend, dass sie das Gefühl haben, mehr zu leisten als sie zurückbekommen. Diese Wahrnehmung ist wissenschaftlich sehr gut untersucht und erhöht das Risiko, langfristig krank zu werden, erheblich.“


Diese Befragungsergebnisse heißen im Umkehrschluss natürlich nicht, dass ein betriebliches Gesundheitsmanagement keinerlei Wirkung zeigt. Es unterstreicht jedoch, dass das berühmte „One-Size-Fits-All“ überholt ist. Vielmehr gilt es, zu eruieren, wo es gesundheitsbedingte Probleme innerhalb der Belegschaft gibt, welche Angebote gewünscht werden und wie man attraktive Pakete für die Mitarbeitenden schnüren kann. Für Jennifer Frenkel, Personal und Business Coach sowie Mediatorin, muss ein gut funktionierendes Gesundheitsmanagement Teil der Unternehmenskultur werden, damit es vor allem als Prävention für psychische Erkrankungen Wirkung zeigt: „Burn-out ist in zu vielen Unternehmen nach wie vor ein Tabuthema. Dabei zeigen zahlreiche Studien, dass hohe Krankenstände auch ein Zeichen von Fehlern in der Unternehmenskultur sind – insbesondere in der Mitarbeiterführung.“


Unternehmen sind auch aufgrund des demografischen Wandels gut beraten, ein ganzheitliches Gesundheitsmanagement im Unternehmen zu etablieren. Denn während der Anteil der Erwerbstätigen in Deutschland über 55 Jahren 2001 bei gerade einmal 37,9 Prozent lag, ist diese Quote 2017 auf 70,1 Prozent gestiegen. Das belegen Zahlen von Eurostat. Deutschland befindet sich damit im europäischen Vergleich sogar nur im Mittelfeld. In anderen Ländern – allen voran in Skandinavien – liegt die Erwerbstätigenquote bei älteren Jahrgängen noch höher. Spitzenreiter ist Island mit 83,9 Prozent.

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