Deutlicher warnen

Aktuell wird bundesweit die Zahl der Diabetiker auf knapp sieben Millionen geschätzt, Tendenz steigend. Es gäbe aber eine Möglichkeit, den Anstieg zu bremsen, glauben Diabetologen.
Illustrationen: Daniel Balzer
Mirko Heinemann Redaktion

Experten warnen davor, dass aus den heute knapp sieben Millionen Menschen, die in Deutschland an Diabetes erkrankt sind, bis zum Jahr 2040 zwölf Millionen werden könnten. „Ein Großteil an Typ-2-Diabetes-Erkrankungen wäre vermeidbar, wenn es gelänge, eine Umgebung zu schaffen, in der sich Menschen besser ernähren und weniger übergewichtig sind“, erklärte Dirk Müller-Wieland, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft DDG, Ende Mai auf dem Kongress des Verbands in Berlin. Ein Schritt in diese Richtung könnte eine Lebensmittelkennzeichnung mit dem Nutri-Score sein.


Beim Nutri-Score werden für jedes Lebensmittel aus eher günstigen Inhaltsstoffen wie Obst, Gemüse und Ballaststoffen und aus eher ungünstigen Inhaltsstoffen wie Zucker, Salz und gesättigten Fettsäuren ein Gesamtpunktwert ermittelt. Je nachdem, wie dieser Wert ausfällt, wird das Produkt auf der Vorderseite der Verpackung gut sichtbar mit einem Buchstaben und einer von fünf Farben gekennzeichnet. Anders als beim bisherigen Kleingedruckten auf der Rückseite könnte mit dem Nutri-Score jeder Mensch unabhängig von Sprachkenntnissen und Bildungsstand den Unterschied zwischen dem dunkelgrünen A – für sehr günstige Lebensmittel – und dem roten E – für sehr ungünstige Nahrungsmittel – erkennen.


Der Hintergrund für diese Initiative der DDG liegt in den modernen Ernährungsgewohnheiten, die als mitverantwortlich für die hohen Erkrankungszahlen gelten. Ein wichtiger Risikofaktor für Diabetes ist Übergewicht infolge von Bewegungsmangel – in Verbindung mit einer fettreichen Ernährung. Aktuell gibt es 6,7 Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland, 80 bis 95 Prozent leiden am Typ-2-Diabetes. Diabetes nimmt in Deutschland und auch weltweit dramatisch zu. Schon heute sind global 415 Millionen Menschen betroffen.


Diabetes verläuft im Anfangsstadium häufig unbemerkt, deshalb schätzt man, dass etwa zwei Millionen Menschen nichts von ihrer Erkrankung wissen. Eine zu späte Diagnose und Behandlung trägt aber erheblich zum Auftreten von Folgekomplikationen bei. Nach wie vor sterben etwa 75 Prozent der Menschen mit Diabetes verfrüht an kardiovaskulären Komplikationen. Jährlich werden etwa 40.000 diabetesbedingte Amputationen durchgeführt und Typ-2-Diabetes ist die häufigste Erkrankung, die zu Nierenversagen und Dialysepflichtigkeit führt.


Eine Ursache für Diabetes-Typ-2 ist die sogenannte Insulinresistenz: Das Hormon Insulin sorgt dafür, dass Muskelzellen und Gehirn die Kohlenhydrate, also Zucker, aufnehmen können. Wenn das nicht mehr funktioniert, verbleibt der Zucker im Blut. Während der Typ-1-Diabetes bislang nicht heilbar ist, könnten Experten sich eine Remission oder Heilung des Typ-2-Diabetes durchaus vorstellen. „Bis vor Kurzem wurde der Typ-2-Diabetes als eine chronisch fortschreitende Erkrankung angesehen, die aufgrund einer zunehmend versagenden Insulinproduktion letztlich lebenslang mit Medikamenten beziehungsweise Insulin behandelt werden muss“, erklärte Michael Roden auf dem Kongress der DDG. „Während die Insulintherapie für den Typ-1-Diabetes lebenslang erforderlich ist, gibt es nun zunehmend Hinweise, dass sowohl Lebensstilinterventionen als auch Bariatrische Chirurgie den Verzicht auf Medikamente bei Typ-2-Diabetes ermöglichen können.“


Mit Lebensstilintervention ist eine Veränderung der Lebensgewohnheiten gemeint – die Umstellung auf eine gesunde Ernährung, mehr Bewegung und eine Gewichtsabnahme. Dass es mit solchen Maßnahmen tatsächlich möglich ist, den Typ-2-Diabetes zurückzudrängen, hatte jüngst eine britische Studie gezeigt. 300 übergewichtige Menschen mit Diabetes hatten mithilfe einer stark kalorienreduzierten Ernährung ihr Gewicht erfolgreich reduziert. Die Hälfte der Teilnehmer konnte durch die Diät den Blutzucker wieder normalisieren und erst einmal auf Medikamente verzichten. Bei den Teilnehmern, die mehr als 15 Kilogramm abnahmen, waren es sogar 85 Prozent. Mit der Bariatrischen Chirurgie sind der Magen-Bypass und die sogenannte Sleeve-Gastrektomie gemeint – Operationsmethoden, mittels derer bei stark übergewichtigen Betroffenen eine Normalisierung der Blutglukosewerte erreicht werden kann. Bei beiden Operationstechniken wird der Magen verkleinert, beim Magen-Bypass zudem noch ein Teil des Dünndarms ausgeschaltet.


Damit es erst gar nicht so weit kommen muss, plädieren die Diabetologen für eine deutliche Kennzeichnung ungesunder Nahrungsmittel. Das deutsche Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft plant hierzu ein Kennzeichnungssystem. Das aber hält die DDG für nicht so überzeugend wie den eingangs erwähnten Nutri Score. Sie kritisiert vor allem die fehlende farbliche Markierung, die dem Verbraucher hilft, die Höhe der Nährstoffgehalte besonders leicht einzuschätzen.


„Der Nutri-Score hat seine Wirksamkeit wissenschaftlich bewiesen und ist sofort einsetzbar“, so DDG-Geschäftsführerin Barbara Bitzer. In Frankreich sei der Nutri-Score bereits etabliert: Tests haben gezeigt, dass Menschen nach seiner Einführung weniger ungesunde und mehr gesunde Produkte kauften. Die Nährwertqualität verbesserte sich dadurch um durchschnittlich sechs bis neun Prozent. Das überzeugte auch Belgier, Spanier, Portugiesen und Luxemburger. Sie alle planen, den Nutri-Score ebenfalls einzuführen.


Schon gegenwärtig werden hierzulande zwölf Prozent der Gesundheitsausgaben für die Behandlung der Stoffwechselerkrankung aufgewendet – immense Kosten für das Solidarsystem, die einem nationalen Notstand gleichkommen, warnt die DDG. Sie fordert die Politik auf, mit steuerlichen Maßnahmen einzugreifen: Sogenannte adipogene, also fettbildende, Lebensmittel sollten belastet und nährwertgünstige Lebensmittel entlastet werden. Außerdem plädieren die Diabetologen für ein Verbot von an Kinder gerichteter Werbung und – wie erwähnt – für eine deutliche und für Verbraucher verständliche Nährwertkennzeichnung auf der Vorderseite von Lebensmittelverpackungen.

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