Auf Augenhöhe

Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Viele Unternehmen spüren den Druck, sich zu verändern, sind aber dennoch unsicher, wie sie sich neu positionieren können. Ein Gespräch mit dem Managementberater Ulf Brandes.
Diversity
Illustration: Linda Wölfel
Interview: Klaus Lüber Redaktion

Herr Brandes, schon seit Jahren stellen sich Unternehmen die Frage, wie sie mit den neuen Bedürfnissen gut ausgebildeter und deshalb begehrter Talente umgehen sollen – der sogenannten Generation Y. Sie sind Autor des Buches „Management Y“. Findet man darin die Antwort? 

 

Auch, aber natürlich nicht nur. Die hohen Ansprüche von Top-Talenten an die Unternehmenskultur sind ja nur ein kleiner Teilaspekt eines grundlegenden Wandels menschlicher Bedürfnisse: nach mehr Menschlichkeit, mehr Authentizität, mehr Lebenssinn. In Management Y geht es darum, diesen Wandel in einen größeren Zusammenhang zu stellen: der Frage, wie ganz praktisch eine neue Unternehmenskultur entstehen kann.

 

Was meinen Sie mit „neuer Unternehmenskultur“?

 

Bei immer mehr leitenden Managern beginnt sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass das klassische Verständnis von Führung als Mittel zur Maximierung ökonomischen Erfolgs zunehmend an seine Grenzen stößt. Und zwar nicht nur deshalb, weil sie mit dem anders ausgerichteten Wertesystem einer jüngeren Generation konfrontiert sind. Sondern weil ihnen bewusst wird, dass man mit einem gegenseitigen Umgang, der auf der Grundannahme basiert, dass wir alle rationale Egoisten sind, kein innovationsfreundliches und geschäftsstärkendes Klima schafft. 

 

Heißt das nicht im Grunde, sich von klassischen Führungsidealen zu verabschieden? Das dürfte vielen Vorstandsvorsitzenden nicht leicht fallen.

 

Noch viel schwieriger ist das für die Ebene des mittleren Managements. Als oberste Führungsebene ist es im Zweifel etwas leichter, untereinander etwas Neues zu probieren, mit neuen Haltungen zu experimentieren oder eine neue Kultur vorzuleben. Wer aber im mittleren Management tätig ist, wird unter Umständen mit einem Wandel konfrontiert, der das eigene Arbeitsverständnis grundlegend in Frage stellt. Wie soll jemand, dessen Karriere bislang beispielsweise auf „Zahlen, Daten, Fakten“ basierte, nun über Nacht die Kompetenz entwickeln, in einem Klima von Fehlertoleranz, Vertrauen und Verbundenheit Teams zu führen, die innovativ und autonom arbeiten? Das schließt sich nicht gänzlich aus, aber es erfordert ein ziemliches Umdenken — und bloß „auf Ansage“ ist dies kaum zu erreichen.  Und auch manche Mitarbeiter machen ganz gern „Dienst nach Vorschrift“. 

 

Warum ist es eigentlich so wichtig, dass Teams autonom agieren können und was macht Teams zu erfolgreichen Teams?

 

Entwicklung gedeiht nur in einer freien, veränderungsbereiten Umgebung. Wir wissen mittlerweile aus einer ganzen Reihe von Studien, dass Menschen besonders dann gut arbeiten, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Man braucht das Gefühl, es macht Sinn, was ich tue; ich habe zweitens die nötigen Kompetenzen und wenn nicht, dann kann ich sie mir beschaffen; und ich habe Handlungsfreiheit, das heißt, ich entscheide selbst, wie ich meine Aufgabe angehe. Daraus entsteht eine Arbeitssituation, in der Menschen auf hohem Niveau über längere Zeit zu guten Leistungen fähig sind, ohne zu verschleißen: der sogenannte „Flow“. 

 

Wie schafft man diese Bedingungen? 

 

Indem man die Kollegen einlädt, sich einmal auf neue Arbeitsweisen einzulassen, und sich nach solchen Erlebnissen etwas Zeit nimmt, darüber zu sprechen. So entsteht ein Bewusstsein dafür, was möglich ist und womöglich geeigneter. Ein wichtiger Faktor ist zum Beispiel der Begriff der „Dienenden Führung“. Habe ich als Führungskraft meine Mitarbeiter nur, damit ich meine Ziele erreiche? Oder ist nicht vor allem wichtig zu fragen: Was braucht ihr denn, damit ihr gut arbeiten könnt? Das heißt auch, hierarchische Verhaltensweisen abzubauen und sich auf Augenhöhe zu begegnen, von Mensch zu Mensch, mit all unseren unterschiedlichen Kompetenzen.

 

„Augenhöhe“ heißt auch ein Dokumentarfilm, der bei der Recherche zu ihrem Buch Management Y entstand und mit Hilfe von Crowdfunding schließlich auch realisiert werden konnte.

 

Richtig. Unser Ansatz war es von Anfang an, nicht nur Theorie zusammenzutragen. Studien zum Wandel der Arbeit gibt es mittlerweile genügend. Und es ist mittlerweile auch den meisten Akteuren klar, dass es notwendig ist, sich auf Veränderungen einzulassen. Wenn man dann mit Mitarbeitern, Führungskräften und Gesellschaftern ins Gespräch kommt, merkt man aber sehr schnell, dass zwar die Bereitschaft zu Veränderungen grundsätzlich gegeben ist, man sich aber schlicht nicht vorstellen kann, wie diese konkret umsetzbar sind. Die Intention von Films und Buch war es, genau dies zu zeigen.

 

Indem Sie Firmen porträtieren, die den Kulturwandel, wie sie ihn beschreiben, schon leben?

 

Ja. Wobei uns ganz wichtig war, eben nicht diejenigen Firmen zu zeigen, die den Wandel in irgendeiner exotischen Nische umsetzen. Was wir zeigen wollten, waren anschlussfähige Beispiele ganz normaler Unternehmenstypen und Branchen, die den Zuschauern das klare Gefühl geben: Mensch, wenn das da geht, warum nicht auch bei uns? Das kam so gut an, dass ein Teil des Teams inzwischen sogar noch einen Film gedreht hat.

 

Wie wichtig ist das Thema Diversity in diesem Prozess?

 

Natürlich ganz entscheidend. Veränderungsfähigkeit braucht unterschiedliche Perspektiven und Fähigkeiten. Die Kunst dabei ist, ein Klima zu schaffen, in dem uns solche Vielfalt nicht nervt, sondern als Bereicherung ankommt. Ein solcher Umgang mit Vielfalt setzt einen Grundkonsens voraus, ein Wir-Gefühl: Sehen „die“ es falsch — oder können wir voneinander lernen? Dafür gilt es Raum zu geben.

 

Was müssten Unternehmen dafür tun?

 

Viele Unternehmen sind hier schon recht weit gekommen, und beschreiben in unserem Buch, wie sie solche Veränderungen bei sich fördern. Das Dilemma ist eher, dass wir lebenslang etwas anderes gelernt haben; dadurch wird Veränderung meistens ein umfassender Prozess. Solches Know-how nicht erst spät im Beruf zu erhalten wäre so wichtig – Know-how und vor allem Haltungen im Umgang miteinander, die wir schon bei Kindern fördern könnten, aber nach wie vor kaum ausbilden. Wenn wir von „Talenten der Zukunft“ sprechen, sehe ich hier die größten Chancen.

 

Ulf Brandes 

entwickelt und leitet Change- und Innovationsprogramme – 10 Jahre als Führungskraft, und weitere 10 Jahre in Start-ups und als Management-Berater. Mit seinem Team unterstützt er Vorstands- und Change-Teams großer und mittelständischer Unternehmen. Der Physiker und Volkswirt beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Hirnforschung und Gruppendynamik. Er ist verheiratet, Vater von drei Kindern, Keynote Speaker, Moderator und Autor von „Management Y“ (Campus-Verlag 2014) und „Augenhöhe – Film und Dialog“ (2015).

 

Foto: Dominique Stroh Business Design People AG

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